Samstag, 24. Januar 2009
 
VwGH: Watschen und Folter sind zweierlei PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Bernhard Redl, akin   
Freitag, 7. November 2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat wieder einmal polizeistaatliche Prinzipien aufs Korn genommen. Diesmal im Fall Bakary J. Der Gambier hatte sich erfolgreich gegen seine Abschiebung gewehrt und war deswegen von den amtshandelnden Polizisten schwerst mißhandelt worden. Ein (mildes) Strafurteil war die Folge. Dieses ist rechtskräftig — die Disziplinarstrafen sind es nicht. Und diese sind dem Höchstgericht zu niedrig. Der Entscheid ist lesenswert.

Allein die Fallbeschreibung, wie sie der VwGH in seinem Entscheid abgibt, zeigt, wie es einem gehen kann, wenn man ein anscheinend rechtloser Flüchtling ist: Die Beamten “haben am 7. April 2006 in Wien in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter dem .... Schubhäftling J körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem [sie] den Häftling in eine leerstehende Lagerhalle brachten, ihm wiederholt und intensiv, teils durch Gesten (Vorzeigen eines einer Granate ähnlichen Gegenstandes ... ) androhten, ihn umzubringen und ihn dadurch in Todesangst versetzten, ihn in gefesseltem Zustand in der Lagerhalle umherschleiften, ihm zahlreiche Faustschläge und Fußtritte versetzten und ihn mit einem Polizeifahrzeug von hinten vorsätzlich anfuhren ... wobei die Tat eine schwere Verletzung (verursachte), und zwar ein komplexes Bruchsystem im Bereich der oberen Gesichtshälfte, die das Stirnbein, die Augenhöhle und das rechte Jochbein umfasste, sowie eine Prellung der rechten Stirnhälfte mit Hautabschürfung, eine Schwellung des Ober- und Unterlides des rechten Auges, eine Zerrung der Halswirbelsäule, eine Prellung der linken Schulter, Prellungen beider Hüften, ein Hämatom am linken Oberarm, eine Schürfung am linken Ellbogen und eine posttraumatische Belastungsstörung.”

“Erschwerend: kein Umstand”

Deswegen wurden die Beamten wegen Quälens eines Gefangenen (StGB §312 Abs 3, 1. Fall; Strafdrohung bis zu 3 Jahren) zu 6-8 Monaten bedingt verurteilt. Mildernd für das Urteil wurden das Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit der Beamten, sowie “das provokante Verhalten des J” gewertet. Erschwerend gewertet wurde: “kein Umstand”.

Dieses Strafurteil war so bemessen, daß die Beamten nicht automatisch des Dienstes enthoben werden mußten, was bei einer auch nur bedingten Strafe über 1 Jahr Haft der Fall gewesen wäre. Da die Disziplinarkommission gehalten ist, sich in ihrer Strafbemessung an den Bemessungsgründen des StGB zu orientieren, fiel es ihr leicht, nach diesem Urteil des Strafgerichts ebenfalls in der Angelegenheit eine Lappalie zu sehen. Die Kommission verhängte somit lediglich Geldstrafen von jeweils 3 bis 5 Monatsbezügen, die Disziplinaroberkommission verringerte diese Strafen noch weiter. Eine Entlassung sahen weder Kommission noch Oberkommission als nötig an.

Der Disziplinaranwalt sah das anders und befaßte den VwGH damit. Er berief sich vor allem auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum “Untragbarkeitsgrundsatz”, wonach ein Beamter als “untragbar” zu entlassen ist, auch wenn Nebenumstände wie Unbescholtenheit oder ein geringer Grad des Verschuldens für den Betroffenen sprechen. Der VwGH hatte allerdings mittlerweile seine ständige Rechtssprechung geändert: Eine Entlassung könne kein rein administrative Angelegenheit sein, sondern sei als Strafe zu betrachten, weswegen hier auch Milderungsgründe zulässig sein müßten.

Äpfel mit Birnen verglichen

Das war aber so ziemlich der einzige Punkt, in dem der VwGH dem Beschwerdeführer widersprach. Der Gerichtshof brachte nämlich das Völkerrecht zur Anwendung und qualifizierte das Handeln der Beamten nach der einschlägigen Konvention als Folter. Damit wies es aber die Begründung der Disziplinaroberkommission für das milde Urteil kilometerweit von sich. Diese hatte nämlich gemeint, die Angelegenheit wäre “annähernd gleich” mit einem bestimmten früheren Fall von Körperverletzung durch einen Beamten. Der VwGH in seinem Urteil: “Im angeführten Fall hatte ein Zollbeamter einer Partei einen einzelnen Schlag in das Gesicht mit der Folge einer schweren Körperverletzung versetzt, nachdem er von diesem beleidigend provoziert worden war. Davon unterscheidet sich die Vorgangsweise der Mitbeteiligten ganz wesentlich, weil sie die schweren Misshandlungen, schweren Körperverletzungen und Erniedrigungen sowie die Scheinhinrichtung beim Häftling zwar nach Provokation durch den Schubhäftling, jedoch in zeitverschobener Weise auf vorbedachte und organisierte Weise vorgenommen haben.” Sprich: Eine spontane Gewalttätigkeit eines Beamten in einer erhitzten Athmosphäre ist ein bisserl was anderes als geplante Folter.

“Provokantes Verhalten”

Auch erkannte der VwGH als einen erschwerenden Umstand, daß die Beamten genau jene Rechtsgüter verletzt hätten, deren Schutz ihnen obliegt. Weiters wird das erwähnte “provokante Verhalten” vom Gerichtshof zwar nicht prinzipiell in Abrede gestellt, es könne aber kein Milderungsgrund sein, “weil ein solches Verhalten zum normalen Risikobereich eines mit der Abschiebung von Schubhäftlingen betrauten Exekutivbeamten zählt und sie für solche Situationen besonders geschult werden”. Abgesehen davon wäre nicht einmal im Urteil vor dem Strafrichter explizit erwähnt worden, worin dieses “provokante Verhalten” überhaupt bestanden hätte.

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Der VwGH stellte in seinem Entscheid explizit fest, daß er die Sache nur an die ordentliche Instanz zurückverweisen und nicht selbst entscheiden könne. Eine solche Feststellung wäre an sich nicht notwendig gewesen, daher ist aus der Formulierung deutlich zu ersehen, wie sehr der Gerichtshof seine diesbezügliche Unzuständigkeit bedauert. Und er macht klar, was er sich von der Disziplinaroberkommission erwartet: “Bei der Strafzumessung im engeren Sinn wird die belangte Behörde darauf, dass die Mitbeteiligten eine Scheinhinrichtung vorgenommen haben und die Tat eine schwere Traumatisierung des Häftlings zur Folge hatte, und nicht nur allgemein auf die ´brutale Vorgangsweise ... die zu ... schweren Verletzungen geführt hat´, ... Bedacht zu nehmen” habe.

Nach diesem Entscheid ist eine neuerliche Suspendierung der Beamten, die bislang in den Innendienst versetzt worden waren, möglich. Die Disziplinaroberkommission des Bundeskanzleramtes muß ein neues Urteil fällen. Sie wird diesmal wohl etwas strenger vorgehen müssen. Ob die Behörde die belangten Beamten auch weiterhin als “tragbar” für den Staatsdienst ansehen möchte, bleibt abzuwarten. Sie hat für ein Urteil ein halbes Jahr Zeit.


Dokument JWT/2007090320/20080918X00

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